Hexen
Der Begriff "Hexe" ist in unserem heutigen Bewusstsein stark geprägt durch die Märchen der Romantik und die Schreckensbilder der christlichen Hexenverfolgung.
So erscheint sie uns einmal als hässliche, alte Frau sowie als eine, die mit der christlichen Variante des jüdischen "Satan" im Bunde steht.
Beides sind polemisch motivierte Bilder.
Noch um 800 verstand man unter Hexen solche Menschen, die mit den Naturkräften im Bunde standen. Man nannte sie im Alt-Hochdeutschen "haga-zussa" (Hag-Weib), entsprechend im Alt-Englischen "hægtesse" (heute verkürzt "hag") und im Alt-Isländischen "tūnriđa" (Zaunreiterin).
Der Hag (Hecke, Zaun) war die Einfriedung des Landes, das die Menschen der wilden Natur abgerungen und kultiviert hatten. Der Hag markierte damit die Grenze zwischen der kultivierten Welt der Menschen und der unkultivierten Welt des Draußen, der ungezähmten Kräfte der wilden Natur. Diese unbewohnbare (weil unkultivierte) Welt des wilden Draußen wurde von germanischen Stämmen "Utgard" genannt.
In dieser Welt fühlten sich
die Hexen im tiefsten Sinne zuhause, in ihr fühlten sie sich heimisch.
Zugleich gehörten sie
aber auch der Welt der Menschen an - weil sie eben Menschen waren. In dieser
tragischen Zwiegespaltenheit wurden sie von den übrigen Menschen auch
wahrgenommen: als "auf dem Hag reitende Hagazussa", oder auch als "Häg'se", ein
dem Hag zugehöriges dämonisches Wesen - der Grenze zugehörig, die zwischen dem
ekstatischen Chaos der Natur und der kultivierten Ordnung der Zivilisation verläuft.
Nördlich des Main war der Ausdruck "Hexe" eher ungebräuchlich; bis ins 18. Jahrhundert hinein wurden hier diese Menschen als "Towerische" (plattdeutsch, sprich: "Touweriske") oder "Tower'sche" bezeichnet. Hochdeutsch bedeutet das "Zauberische" oder "Zauber'sche", was deutlich macht, dass man diese Personen als "dem Zauber zugehörig", "zum Zauber gehörend" verstand (wie man sagt, dass die Schmidt'sche zum Schmidt gehört).
Beiden Begriffen ist gemeinsam, dass die als "Hexe" oder als "Zaubrische" bezeichnete Person sich
nicht primär und unproblematisch als ein dem menschlichen Gemeinwesen
zugehöriges Mitglied verstand. Ihre Zugehörigkeit zu beiden Reichen, dem der
Menschen und dem der Naturkräfte des wilden Draußen machte sie aber zugleich zur Garantin
für die Verbindung dieser beiden Welten - damals wie heute.
Aus diesem Grunde waren
Hexen immer Außenseiter - mal
gefürchtet, mal gebraucht.
© Theo Erlemann, 2006
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