Herr desHerr des
 

 

 

ZwischenreichsZwischenreichs

 

 

 

 

VON THEO
 

Hinlänglich bekannt ist die Darstellung des Gehörnten Gottes z.B. auf dem Kessel von Gundestrup. ‘Cernunnos’, mit diesem offenbar griechischen Namen benannten die Römer den Gott mit dem Geweih auf dem Kopf, der in den nördlichen Regionen vielfach verehrt wurde. Doch warum sieht man diesen Gott oftmals umgeben von den wilden Tieren der Natur abgebildet, mit einem geöffneten Ring in der einen Hand, während die andere eine Schlange beim Genick hält? Nun, ich möchte mich im Folgenden dieser Frage einmal spekulativ-hermeneutisch nähern.

Umgeben von den wilden Tieren des Draußen befindet sich Cernunnos auf der Abbildung, also in einem Reich, das - (noch) unkultiviert - nicht das der Menschen ist. Er hat sich niedergelassen, er sitzt. Inmitten einer Umgebung zu sitzen, die von wilden Tieren bevölkert ist, kann wohl als Zeichen seiner Beheimatung verstanden werden; das Geweih auf seinem Kopfe weist ebenfalls auf seine Verbundenheit mit den ihn umgebenden Tieren hin.
Cernunnos hält in seiner einen Hand einen an einer Stelle geöffneten Ring, den sog. Tork. Was es mit diesem Tork auf sich hat, können wir erschließen, wenn wir uns zunächst der Schlange zuwenden, die er mit der anderen Hand am Genick hält.
Die Schlange war in vorchristlicher Zeit in vielen Kulturen als Symbol der Lebenskraft verstanden worden. Wir finden sie, als ‘Ouroboros-Schlange’ in der Überlieferung wieder: es ist die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt und damit einen geschlossenen Kreis bildet. So war sie das Symbol für den ewigen K
reislauf des Lebens, der niemals abreißt.
Cernunnos aber hat diese Schlange nun am Genick gepackt - er gebietet über sie, denn eine Schlange, die man am Genick packt, kann sich nicht mehr wehren, ist hilflos ausgeliefert. Mehr noch: er hindert sie damit daran, den geschlossenen Kreis zu bilden. Diese Symbolik könnte uns sagen: hier ist der Kreis des Lebens unterbrochen, an dieser Stelle gebietet der Gott mit dem Geweih über den ewigen Kreislauf.


Betrachten wir uns die andere Hand der Abbildung, wird dies nochmals bekräftigt und bestätigt: der Gott hält uns auf der Abbildung den unterbrochenen Kreis, den Tork entgegen, als wolle er uns damit sagen: Ihr wisst, das Leben kehrt immer wieder, aber es gibt eine Stelle im ewigen Rad, an der der Kreis unterbrochen ist, ein Ort, an dem ich gebiete und herrsche. So symbolisiert der Tork im Hinblick auf das zum Kreis fehlende Stück ein Zwischenreich.
Cernunnos zeigt sich uns als dessen Regent - als Herr des Zwischenreichs zwischen Leben und Tod, zwischen Sterben und Geburt - und analog schließlich auch als Herr der Zeit zwischen den Jahren und zwischen den Welten.